Friday, June 30, 2006

Wirtschaft ist "heiß" auf Onlinenachrichten (contentmanager.de)

Es ist nie gut, zu sehr im eigenen Saft zu schmoren. Der Blick von außen kann einem oft die Augen für Dinge öffnen, die man nicht mehr wahrnimmt, da man zu sehr mit der eigenen Nabelschau beschäftigt ist. Auch der Journalismus in Deutschland ist vor dieser Gefahr nicht gefeit. Fernsehmoderatoren laden sich gegenseitig ein, eine große Tageszeitung kooperiert bei bestimmten Themen mit einem montags erscheinenden Nachrichtenmagazin und so weiter. Man kennt es von den Medizinern, wenn es um Kunstfehler geht: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Im Handelsblatt hat der Publizist Frank A. Meyer, der für den Schweizer Ringier-Verlag tätig ist, jetzt mit dieser Routine gebrochen.

Meyer ist der Ansicht, dass die deutschen Journalisten immer recherchefauler werden und lieber am Bildschirm ihr Urteil abgeben, ohne noch in direkten Kontakt mit Bürgern, Politikern, Beamten, Arbeitern, Angestellten, Künstlern und Forschern zu treten. "Mehr und mehr lebt unser Berufsstand vom Copy & Paste. Die Journalisten kopieren sich fortwährend selbst", so Meyer. Die Medienvertreter seien zu lieb zueinander. Man kenne sich, verhelfe sich zur Prominenz, interviewe sich gegenseitig und ignoriere die Bücher der Kollegen, die aus der Reihe tanzen. Seinen negativen Eindruck vom derzeitigen Zustand der deutschen Publizistik kleidet der Autor in die Form einer Frage: "Erliege ich einer Sinnestäuschung, wenn ich mich beim Lesen deutscher Zeitungen, beim Konsum deutscher Fernseh- und Radioprogramme des Eindrucks frappierender Gleichförmigkeit nicht erwehren kann?"

Doch insbesondere die Printmedien haben noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Die Lesegewohnheiten haben sich durch den Siegeszug des Internet stark gewandelt. "Gerade junge Menschen und die so genannten Leistungsträger, die immer gut informiert seien wollen, warten nicht mehr 24 Stunden, bis sie beim morgendlichen Kaffee und Brötchen die aktuellen Nachrichten lesen können. Denn so aktuell sind die Nachrichten dann schon gar nicht mehr. Es ist der Nachteil der gedruckten Tageszeitungen, dass sie immer etwas hinterherhinken", weiß die Kommunikationsexpertin Sabine Sohn, Geschäftsführerin der Bonner PR-Agentur nic.pr. "In Zukunft werden die Printmedien mit besonders gut geschriebenen Texten und Artikeln punkten, in denen sie ein bestimmtes Problem grundsätzlicher angehen können als dies im Internet der Fall sein kann."

"Jemand, der in der Wirtschaft arbeitet und zum Beispiel die aktuellen Finanzmeldungen berücksichtigen muss, kann nicht mehr nur mit der FAZ, FTD oder dem Handelsblatt leben. Diese Medien werden nicht überflüssig, aber sie verlieren an Einfluss und Bedeutung. Der Chefredakteur des britischen Guardian sprach zurecht davon, dass die Leute beispielsweise in der Londoner City regelrecht heiß auf Onlinenachrichten seien", so Sohn. Alan Rusbridger heißt der Chefredakteur des Guardian, und in einem Essay, der im Spiegel abgedruckt wurde, erläuterte er vor kurzem seine publizistischen Vorstellungen. Der Hintergrund: Da Print mit der Aktualität des Webs nicht mithalten kann, verordnete sich der Guardian jetzt einen radikalen Schnitt. Ab sofort kommen Artikel zuerst ins Netz, dann in die Zeitung. Bisher waren die Nachrichten auf einen 24-Stunden-Zyklus zugeschnitten.Sohn hält diesen Schritt für richtig, da Rusbridger nicht in kulturkritische Larmoyanz verfalle, sondern die Chancen der neuen Entwicklung sehe und sie steuern wolle. Die Fakten sp

rächen für diese Strategie. So berichtete Silicon.de, dass die amerikanischen Unternehmen in den ersten drei Monaten dieses Jahres 38 Prozent mehr Geld für Online-Werbung ausgegeben haben als noch vor einem Jahr. Auch in Großbritannien boomten virtuelle Anzeigen. Dort werde in diesem Jahr vermutlich erstmals mehr Geld für Werbung im Internet ausgegeben als für Werbung in den nationalen Tageszeitungen.

In der Wirtschaftsberichterstattung läuft Online Print zunehmend den Rang ab, meint der Guardian-Chef: "Die wirkliche Konkurrenz für den Wirtschaftsteil einer Zeitung sind daher Online-Nachrichtenquellen wie Bloomberg und große internationale Internetseiten wie die der BBC, des Wall Street Journal und der Financial Times. Viele Wirtschaftsnachrichten erreichen die Londoner Börse in Form von Kurzmeldungen bereits um sieben Uhr morgens, so dass es zunehmend absurd ist, mit der Veröffentlichung dieser Informationen 24 Stunden zu warten." Bis zum nächsten Morgen zu warten, während andere Internetseiten diese Nachrichten bereits im Laufe des Tages veröffentlichen, bedeute, sich dem Risiko der Belanglosigkeit auszusetzen.

30.06.2006, NeueNachricht

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